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Demo Verhandeln statt Schießen am 1. Oktober 2022 in Bielefeld

Am 1. Oktober 2022 hat die Bielefelder Friedensini in einem breiten Bündnis zu einer Demonstration gegen die momentane Kriegslogik und deren sozialen Folgen weltweit aufgerufen.

Bei der Demonstration hat Bertholt Keunecke folgenden Redebeitrag gehalten:

"Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,
ich heiße Berthold Keunecke, bin Pfarrer in Herford und arbeite
beim Internationalen Versöhnungsbund mit – das heißt: mache
Friedensarbeit seit 40 Jahren. Deshalb hat mich der Angriff Russ-
lands auf die Ukraine so geschockt - und unsere deutsche Reaktion
mit dem Aufrüstungsprogramm noch mehr.
Der Ukrainekrieg ist eine Katastrophe, in vielerlei Hinsicht. Ja, er
hat mir buchstäblich die Schuhe ausgezogen. Seit Mai laufe ich bar-
fuß als Zeichen der Buße: Ich habe nicht laut genug geschrieen ge-
gen den neuen Kalten Krieg in Europa. Als Kirchen haben wir gute
Friedensbeschlüsse gefasst, aber wir haben ihre Umsetzung nicht
wirklich eingefordert. Wir haben den Angriffskrieg der NATO gegen
Serbien, den Kosovokrieg, nie richtig aufgearbeitet, sondern fast ver-
gessen. - Jetzt tue ich Buße und fühle mich den Menschen in den
Kriegsgebieten etwas näher.
Der Ukrainekrieg ist eine Katastrophe, die Gewalt macht uns hilf-
los und ohnmächtig. Man möchte mit der Faust dreinschlagen, dem
Morden ein Ende bereiten – aber genau das geht eben nicht. Die
einfache Lösung mit Gewalt ist einfach dumm. Wir brauchen einfach
kluge Lösungen. Kluge Lösungen sind auch einfach, wenn wir uns
erlauben, sie zu denken. Lösungen sind einfach, wenn wir uns
psychisch nicht von der Konfliktdynamik mitreißen lassen, wenn wir
uns das Denken nicht vernebeln lassen: Das aber fällt den meisten
schwer.
Klar ist: Verhandlungen sind der einzige Weg zum Waffenstillstand
- und späteren Frieden. Wir wissen auch ohne Experten, dass Russ-
land mit seinen Atomwaffen nicht militärisch besiegt werden kann.
Die Bereitschaft zur Verhandlung wird Russland meist abgespro-
chen, aber sie ist eindeutig da. Verhandlungen funktionieren ja auch,
wo es um Austausch von Gefangenen und Gefallenen geht.
Klar ist: Deeskalation ist das Gebot der Stunde. Aber die Konflikt-
dynamik weist in die andere Richtung: Jede Drohung ist eine Eska-
lation, jede Waffenlieferung ist eine Eskalation, ja jede unbewiesene
Anschuldigung stellt eine Eskalation des Konfliktes dar. Und auf Es-
kalation folgt fast automatisch die Eskalation der anderen Seite. Wir
brauchen Deeskalation: Verzicht auf Angriffe, militärisch und verbal.
Verständnis für den Gegner. Eingeständnis eigener Fehler. Ja, das ist
schwer, das kennen wir ja aus unseren persönlichen Konflikten.
Ich weiß, dass das fast übermenschliche Forderungen an unsere
Politiker und Politikerinnen sind. Sie sind zur Konfliktpartei gewor-
den, sie unterliegen dem Koalitionszwang: Im Kampf darf ich mir
keine Schwäche erlauben, keine Blöße geben, darf die eigenen Leute
nicht kritisieren. Das ist gruppendynamisch immer so, dass im Krieg
alle zusammenhalten – zusammenhalten müssen! Wenn ein Konflikt
zum Krieg geworden ist, wächst die Eskalationsdynamik, wird der
Gegner immer verteufelt (sonst hätten wir ja Hemmungen, zu töten!)
Im Krieg drängt alles in die Richtung der letzten Eskalationsstufe:
Auf den Wunsch, zu vernichten, egal was es kostet. Das ist echt ka-
tastrophal: Allein schon wegen der Atomwaffen auf beiden Seiten.
Vor dieser katastrophalen Dynamik müssen wir weiter warnen, müs-
sen Deeskalation einfordern. Selbst wenn wir als Schwächlinge be-
zeichnet werden - und schlimmstenfalls der Zusammenarbeit mit
dem Feind bezichtigt werden. So ging es Friedensleuten immer
schon.
Nur Leute mit starkem Rückgrat, nur Menschen mit einem tiefen
Selbstvertrauen oder einer tiefen Menschlichkeit, einem tiefen Glau-
ben, schaffen das, da gegen den Strom zu schwimmen. In der Politik
gibt es die kaum noch. Zugegebenermaßen ist in der Politik der
Druck auch erheblich höher.
Aber: Ihr! Ihr gehört zu diesen Menschen, die für Deeskalation
werben können. Überall. Zeigt euer Rückgrat, stärkt eure Mensch-
lichkeit: Stimmt nicht mit ein in den Chor der sogenannten Experten,
die grundsätzlich alles Böse nur beim Feind erkennen.
Vertraut auf das Einfache! Vertraut nicht den Worten anderer, son-
dern dem eigenen Verstand! Die Auswege aus dem Krieg sind ganz
einfach: Frieden einfordern statt Waffen liefern, gute Angebote ma-
chen für einen Waffenstillstand, Verhandeln statt schiessen! Dank"